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Kategorie: Interviews

Eine neue Studie zeigt, wie sehr das Geschäft der großen Chemiekonzerne an hochtoxischen Pestiziden hängt. Was in Deutschland längst nicht mehr zugelassen ist, wird außerhalb der EU noch über Jahre vermarktet.

Der Spiegel Online - Nils Klawitter, 20.02.2020.

Als im vergangenen Sommer Brasiliens Regenwald brannte, empörte sich die Welt. Eine bizarre Koalition aus mehr als 200 Unternehmen, Umweltschutzverbänden und Wissenschaftlern protestierte. Brasilianische Bauernverbände waren ebenso dabei wie der Lebensmittelmulti Danone. Unter den Moralisten tauchte neben dem WWF auch der US-Sojahändler Cargill auf, seit Jahren von NGOs als Profiteur der Waldvernichtung kritisiert und 2019 zum "schlimmsten Unternehmen der Welt" gekürt.

Und die deutschen Chemiekonzerne Bayer und BASF.

Man sorge sich um den "Verlust an biologischer Vielfalt", sagte Bayers Nachhaltigkeitschef Matthias Berninger. So, als ob die Pestizide der Firma nichts damit zu tun hätten. So, als seien die Chemiekonzerne in Sachen Nachhaltigkeit längst Teil der Lösung. Und nicht das Problem.

Schön wär’s.

Eine neue Studie, die Greenpeace’ Rechercheeinheit Unearthed zusammen mit der Schweizer Organisation Public Eye vorgelegt hat, zeigt ein anderes Bild. Sie belegt, wie die größten fünf Agrochemiekonzerne der Welt (darunter Bayer, BASF und der zu ChemChina gehörende Schweizer Konzern Syngenta) ihre Pflanzenschutzmittel als Stützen der Welternährung inszenieren, obwohl die lokale Bevölkerung und die Umwelt durch die Gifte erheblichen Gefahren ausgesetzt sind. Und zwar vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern.

In diesen oft schwach regulierten Märkten verkaufen die großen Fünf noch immer Gifte wie Paraquat oder Glufosinat, die in der EU längst nicht mehr zugelassen sind. Während der Verkaufsanteil hochgiftiger Substanzen in Indien laut der Studie bei 59 Prozent liegt, beträgt er in Deutschland nur 12 Prozent. Kritiker sprechen von "molekularem Kolonialismus".

Auch Baskut Tuncak, Uno-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und toxische Substanzen, kritisiert laut der Studie, dass die Konzerne zwar immer wieder zugesagt hätten, ihre hochgiftigen Pestizide schrittweise vom Markt zu nehmen, "aber sie halten sich nicht dran". Tuncak spricht von einem "Verrat an den eigenen Versprechen".

"Das ist das alte Innovationsmantra" Laurent Gaberell (Public Eye)

Bayer widerspricht der Studie und spricht von "irreführenden" Zahlen. So seien Umsätze von Monsanto im ganzen Jahr 2018 offenbar Bayer zugeschlagen worden, obwohl die Akquisition des US-Unternehmens erst im Juni erfolgt war.

Wie andere Agroriesen auch verweist Bayer zudem auf sein striktes Risikomanagement für giftige Substanzen und neue, nachhaltige Mittel, die man in der Pipeline habe. "Das ist das alte Innovationsmantra", sagt Laurent Gaberell von Public Eye. "Das Gerede von Verantwortung soll darüber hinwegtäuschen, dass das Kerngeschäft der Konzerne nicht annähernd nachhaltig ist und sie gerade in ärmeren Ländern den Großteil ihres Umsatzes mit dem Verkauf uralter, hochgiftiger Blockbuster machen, in Brasilien sogar zu 49 Prozent." Er meint Stoffe, die sich langfristig auf die Gesundheit auswirken, wahrscheinlich krebserregend sind oder etwa giftig für Bienen.

Die Autoren der Studie werteten über Monate Daten des Branchenanalysten Phillips McDougall aus und verglichen diese mit Angaben des internationalen Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN), die auf Erhebungen von Regierungen und Behörden beruhen. So verschafften sie sich einen Überblick über den weltweit knapp 60 Milliarden Dollar schweren Pestizidmarkt. Etwa zwei Drittel des Marktes kontrollieren demnach die fünf großen Konzerne. Fokussiert auf die größten Märkte und meistverkauften Produkte entfielen mehr als ein Drittel ihrer Umsätze (4,8 Milliarden Dollar) auf Stoffe, die als hochgiftig eingestuft werden. "An der Spitze der unrühmlichen Liste", so die Studie, "stehen Bayer und Syngenta."

Croplife International, die Lobbyorganisation der Branche, sieht das anders. Die Mitgliedsfirmen seien verantwortungsvoll: 3,7 Millionen Arbeiter hätten die Unternehmen seit 2005 im Umgang mit Pflanzenschutzmitteln trainiert, ist in einem Film auf der Website zu sehen. Zudem seien Schutzausrüstungen bereitgestellt und die Sicherheit der Produkte kontinuierlich verbessert worden.

"Die legten die Dosierung fest und drängten auf immer intensivere Düngung"

Lídia Maria do Prado, Plantagenarbeiterin aus Brasilien

Lídia Maria do Prado hat davon nicht viel mitbekommen. Die 44-jährige Brasilianerin berichtet am Telefon von ihren Erfahrungen im Tabakanbau. Mit neun Jahren, kurz nach dem Tod ihres Vaters, fing sie an, auf den Plantagen bei Rio Azul im Bundesland Parana zu arbeiten. In einem kleinen Rucksack steckten die Pestizide, mit der Spritze ging sie über die Blätter. Eine ordentliche Schutzausrüstung gab es damals nicht, aber sie wusste, dass Explosionsgefahr bestand, wenn sie mit salpeterhaltigen Produkten hantierte.

Nach ein paar Jahren kaufte sich die Familie ein Stück Land, baute selbst Tabak an und geriet in Abhängigkeit zum mächtigen Tabakhändler vor Ort. An ihn verkaufen fast alle Tabakbauern ihre Ernte. Er beliefert Konzerne wie Philip Morris mit Rohware. "Wir mussten ein technologisches Paket mit den Chemikalien kaufen, und die legten die Dosierung fest und drängten auf immer intensivere Düngung", sagt do Prado. Das sei bis heute so. Über ein Dutzend Produkte fast aller großen Hersteller enthielt der Pestizidcocktail, der ausgebracht werden musste - darunter war auch das inzwischen weltweit verbotene, krebserregende Insektengift Lindan.

Do Prado musste auch mit dem giftigen Insektizid Actara von Syngenta hantieren, das in der EU seit Ende 2018 nicht mehr zugelassen ist. Fragt man Syngenta nach Actara und Warnhinweisen, dann verweist ein Sprecher auf "Fallstudien, die unsere Aktivitäten zum verantwortungsvollen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln hervorheben". Zudem unterstütze Syngenta Länder dabei, hochgiftige Pestizide "zu identifizieren und gegebenenfalls von ihren Märkten zu entfernen".

Weit gekommen scheint man damit nicht zu sein. Schädliche Auswirkungen auf Mensch und Tier sieht der Sprecher nicht einmal beim langjährigen Topseller des Basler Konzerns, Paraquat. Das Herbizid ist wegen seiner hohen akuten Toxizität in der Schweiz seit 1989 verboten. In der EU wurde die Zulassung 2007 aufgehoben, nachdem ein Gericht hohe Gesundheitsrisiken festgestellt hatte. In Entwicklungsländern wird Paraquat immer wieder für Suizidversuche benutzt.

Lídia do Prado beendete den Tabakanbau im Jahr 2007, als sie nach einwöchigem Dauerspritzen mal wieder Bauchschmerzen bekam, dann lilafarben anlief und ohnmächtig wurde. Ärztliche Untersuchungsberichte legen einen Zusammenhang zwischen dem Pestizideinsatz und ihrem körperlichen Verfall nahe: Inzwischen kann sie kaum noch ihre schiefen Finger bewegen und nicht mehr allein duschen. Eine Klage gegen die Tabakfirma blieb bisher erfolglos. Hinzu kommt, dass sie dort noch Schulden hat: Die "technologischen Pakete" waren zuletzt immer teurer geworden.

Die Agrarlobby des weltweit größten Abnehmerlandes muss sich indes nicht über den Nachschub an Pestiziden sorgen. Die Regierungen von Präsident Jair Bolsonaro und seines Vorgängers Michel Temer haben vorgesorgt und Hunderte Stoffe neu zugelassen. 193 davon, fand Unearthed heraus, enthielten Chemikalien, die in der EU untersagt sind.

Auch deutsche Konzerne haben von der neuen Offenheit profitiert: BASF etwa erhielt 2019 die Zulassung für ein fipronilhaltiges Produkt, das derzeit, so eine Sprecherin, allerdings nicht vertrieben werde. Das Insektizid, das für Bienen und Vögel giftig ist, beschert dem Ludwigshafener Unternehmen laut Studie pro Jahr 50 Millionen Dollar Umsatz. Nach einem Skandal um fipronilverseuchte Eier wurde das Produkt in der EU nicht mehr zugelassen.

Wie ihr Land zur Resterampe von agrochemischen Altlasten wird, die in der EU wegen Gesundheitsgefahren keine Chance mehr haben, das sorgt die Geografin Larissa Bombardi seit Jahren.

"Kritische Wissenschaftler werden bedroht oder entlassen"

Antonio Andrioli, brasilianischer Agrarwissenschaftler über die schwierige Lage in seinem Land

In einem Atlas dokumentierte Bombardi den Pestizideinsatz in Brasilien auf 290 Seiten. Sie verweist auf eine Studie des Nationalen Krebsforschungsinstituts, nach der jeder Brasilianer im Schnitt fünf Liter Pestizide konsumiert, durch Rückstände in den Lebensmitteln. Bis zu 16 Kilogramm Pestizide pro Hektar würden auf Flächen im Süden des Landes ausgebracht, in Europa dagegen nur etwa ein Kilo. Im Dezember präsentierte Bombardi ihre Studien EU-Parlamentariern in Brüssel. Sie zeigte auch eine Statistik des Gesundheitsministeriums: Über 5000 Menschen erlitten 2017 Vergiftungen durch Pestizide, darunter 243 Kinder unter fünf Jahren. In Deutschland verzeichnete das Bundesinstitut für Risikobewertung zwischen 2010 und 2019 nur 590 Meldungen.

Konzerne wie Bayer sehen Brasilien auf einem guten Weg. Ein Sprecher behauptet, das Land verwende eine geringere Menge an Pflanzenschutzmitteln pro Hektar als in Europa üblich. Zudem habe Brasilien bei Pestiziden "eines der strengsten Regulierungssysteme der Welt".

Zu glauben, dass es hier noch nach Recht und Ordnung verlaufe, "das ist vielleicht etwas naiv", sagt Antonio Andrioli.

Der Brasilianer erhielt gerade den Bayerischen Naturschutzpreis des BUND, doch in seinem Heimatland nützt so eine Ehre dem Agrarwissenschaftler nichts. Im Gegenteil. "Kritische Wissenschaftler werden bedroht oder entlassen", sagt er. Mit einem Dekret vom Dezember habe sich Bolsonaro die Kontrolle über Forschungseinrichtungen gesichert. Andrioli selbst war Vizepräsident der Universität UFFS im Süden des Landes und hatte gute Chancen, Rektor zu werden. "Solche Posten werden jetzt von oben besetzt, der Pastor einer Baptistenkirche hat ihn bekommen."

Gegen die Agrarlobby anzukommen, sei immer schwer gewesen, "jetzt ist es nicht mehr möglich". Die Zulassungsgremien für Pestizide seien in der Hand agrochemienaher Wissenschaftler. Das Vorsorgeprinzip werde unterhöhlt, registrierte Stoffe – anders als in der EU– keiner periodischen Neubewertung unterzogen.

Die neue Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina, Tochter von Großgrundbesitzern und entsprechend politisch ausgerichtet, hat die Zulassung durch ein Gesetz abermals erleichtert. 503 Pestizide wurden in ihrem ersten Amtsjahr neu registriert. Sie setzt sich auch für die Legalisierung illegal angeeigneter Ländereien ein, auf Kosten von Kleinbauern und Naturschutzgebieten.

Die Bundesregierung hinderte dies nicht, Brasilien im vergangenen Jahr 82 Millionen Euro Entwicklungshilfe zuzusagen. 40 Millionen davon sollen an das Haus von Ministerin Cristina gehen, die in Brasilien "Muse der Agrargifte" genannt wird.

https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/bayer-und-basf-wie-chemiekonzerne-in-armen-laendern-mit-gift-abkassieren-a-d266a1ab-e070-45e8-8dca-ad40ae58253f?fbclid=IwAR1zQHdvpSgZcIjDvo2-LKvxu8tP4hicGzGEgbTTBPdYKLkvOSZGnemU7Ww